In unserer Blog-Reihe „goood inspiriert“ stellen wir Dir jede Woche einen ganz besonderen Menschen vor.
Wir freuen uns sehr, dass wir anlässlich des Internationalen Gedenktags an die Opfer des Holocausts Holger Michel als Interviewpartner gewinnen konnten. Er ist Kommunikationsberater, sehr aktiv in der Arbeit rund um Geflüchtete und ehrenamtliches Vorstandsmitglied bei Amcha Deutschland, der deutschen Sektion des israelischen Zentrums für psychosoziale Hilfe für Überlebende des Holocausts.
Der 27. Januar ist der internationale Gedenktag des Holocausts. Du arbeitest seit Jahren mit Überlebenden, aber auch täglich mit Flüchtlingen aus Krisenregionen. Warum ist Deiner Meinung nach Erinnern so essentiell?
Weil wir natürlich in der Zukunft nur Dinge anders machen können, wenn wir wissen, was in der Vergangenheit passiert ist. An diesem Tag ist auch immer die Frage: Worum geht es eigentlich? Geht es um Schuld? Meiner persönlichen Meinung nach geht es darum gar nicht. Es geht vielmehr darum, sich zu erinnern, was passiert ist, wie es passiert ist und wie man es in der Zukunft verhindern kann. Es war ja nicht so, dass von heute auf morgen plötzlich Konzentrationslager dastanden, sondern ihnen ging ja eine gesellschaftliche Bewegung voraus, die gesellschaftliche Stimmung hat sich radikalisiert. Dann gab es Wahlen und ihnen folgte erst der Extremismus in seiner politischen Form. Das heißt aber auch, dass es nicht so ist, dass wir heute davor gefeit wären. Daher glaube ich, es ist sehr wichtig, daran zu erinnern und auch deutlich zu machen, dass es bei der Erinnerung nicht um Schuld geht, weil unsere Generation noch nicht geboren war. Auch viele der heutigen Eltern-Generation waren noch nicht geboren. Es geht um das Übernehmen von freiwilliger, gesellschaftlicher Verantwortung. Wir machen uns Dinge bewusst, um damit für die Zukunft gewappnet zu sein.
Das Thema Erinnerung hängt auch immer ganz eng mit dem Thema Prävention zusammen. Wie kann man durch Erinnern vorbeugen?
Wir hoffen natürlich, dass der Holocaust - im negativen Sinne - so einzigartig war, dass er nie wieder stattfindet. Aber wir sehen auch an anderen Ländern wie Jugoslawien oder Ruanda, dass es nie mit dem Massenmord begonnen hat. Es hat immer mit der Ausgrenzung angefangen, mit „wir sind besser, wir sind höherwertiger als ihr“. Und dann ging das stufenweise. Wir wollen nichts mit dem Holocaust vergleichen, aber es ist leider gar nicht so einzigartig, dass sich eine Gesellschaft radikalisiert hat, mit den uns bekannten Folgen. Es hat sich in der Vergangenheit, wenn auch deutlich kleiner, wiederholt. Und die Gefahr ist natürlich, dass sich gewisse Dinge wieder wiederholen. Ich glaube nicht, dass es in Deutschland jemals wieder Gaskammern geben wird. Aber ich möchte auch nicht sehen, dass in Deutschland Synagogen oder Moscheen brennen.
Erinnern ist wichtig. Was kann darüber hinaus jede und jeder einzelne von uns beitragen, dass sich nichts annähernd Ähnliches jemals wieder wiederholt?
Ich glaube, es ist wichtig, sich zu informieren, offen zu sein und auch Dinge zu lernen. Jeder von uns hat Vorurteile, das ist natürlich. Aber ich muss mir selber die Möglichkeit geben, meine Vorurteile zu überprüfen. Ist es wirklich so, wie ich es vermute? Und im Alltag den Mund aufmachen, wenn gepöbelt wird. Auch, wenn ich sehe, dass mein Vater, mein Bruder, mein Kollege einen rassistischen Spruch macht. Ich muss nicht alles, was nicht ganz politisch korrekt ist, als Rassismus abtun, aber es gibt schon Dinge, bei denen ich finde, es ist die Bürgerpflicht, den Mund aufzumachen. Zu sagen, so geht das nicht. Das ist auch das, was mir in den letzten zwei Jahren Hoffnung gemacht hat. Ich sehe, dass mehr und mehr Menschen aufstehen und den Mund aufmachen. Dass Menschen aus allen Generationen, aus allen Bildungsschichten, aus allen Einkommensschichten sich engagieren und plötzlich was tun. Die sagen: “Wir stellen uns dagegen.“ Die aktiv an der Integration der Menschen arbeiten, die in den letzten Jahren nach Deutschland geflohen sind, indem sie den ihnen über das Verteilen von Kleidung hinaus helfen. Sie unterstützen sie bei Amts-Terminen, sie integrieren sie in ihre Familien und Freundeskreise. Und da habe ich schon ganz viel Hoffnung, dass hier viel passiert: Dass man Menschen, die Opfer wurden, sei es Opfer der Shoa vor 72 Jahren – die ja heute noch leiden, wir hatten noch nie so viele Überlebende in Psychotherapien, weil diese Traumata jetzt so richtig zuschlagen – oder Kriegsflüchtlinge dabei unterstützt, anzukommen und neu zu beginnen, gibt mir die Hoffnung, dass sich die Zukunft zu einem besseren entwickelt.
Vielen Dank für dieses spannende Gespräch!
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